- Antje Henze
AG Silvesterhunde: Entlaufene Hunde; Zahlen und Tipps
von Antje Henze @ Pet & Mantrailing @ Passion for Dogs
Die AG Silvesterhunde hat sich seit einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, die Fälle von entlaufenen Hunden zu erfassen, denen mit hoher Wahrscheinlichkeit Silvesterknallerei als Ursache zuzuordnen ist.
Die AG setzt sich aus Personen zusammen, die auf verschiedenste Art und Weise tief in der Materie der Tiersicherung involviert sind, sei es, als Betreiber einschlägiger Seiten und Gruppen, sei es als aktive Helfer vor Ort, sei es als professionelle (im Sinne von gewerblich tätigen) und/oder ehrenamtlichen Pettrailern. Dabei erfassen wir alle Fälle, mit denen wir selbst konfrontiert werden, oder die wir in den einschlägigen, Gruppen und Seiten auf Facebook, ebay-Kleinanzeigen oder über TASSO finden. Diese Erfassung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und steht auch auf keinerlei wissenschaftlicher Grundlage. Allerdings ist das Procedere immer gleich, so dass sich eine klare Tendenz feststellen lässt. Erfasst werden alle Fälle von vermisst gemeldeten, gefundenen oder auch tot gefundenen Hunden mit Datum, PLZ, Ort Beschreibung und wenn bekannt Name des Hundes. Wenn möglich wird ihnen ein Ereignis gesichert, noch offen, oder tot zugeordnet. Der Erfassungszeitraum beginnt ab dem 26.12. sofern Böller als Entlaufgrund eindeutig zuzuordnen sind. Ab Böllerverkauf zum 28.12. bis zum 4.1. werden alle uns bekannt gewordenen Fälle erfasst. Ziel dieser Erfassung ist es, die seit Jahren immer wieder ausgesprochenen Warnungen mit deutlichen Zahlen zu untermauern und ihnen ein größeres Gewicht zu geben, in der Hoffnung, dadurch die Fälle von Entlaufenen Hunden an und um Silvester zu vermeiden. Die Zahlen sollten aufrütteln und schockieren. Leider mussten wir jedoch feststellen, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Im Gegenteil steigt die Zahl der gemeldeten Fälle konstant von Jahr zu Jahr. In jedem Jahr hoffen wir, dass es weniger Fälle sein werden um dann doch wieder enttäuscht zu werden.
Natürlich befinden wir uns, gemessen an der Anzahl der insgesamt in Deutschland gehaltenen Hunde noch nicht mal in einem Promille-Bereich. Aber dennoch ist jeder Hund, der entläuft, ein Hund zu viel; ein Hund, der in Panik auf der Flucht ist; ein Hund, der in akuter Lebensgefahr schwebt; ein Hund, der Unfälle und somit auch Personenschaden bis hin zu Todesfällen verursachen kann. Bei fast 1400 Fällen zum Jahreswechsel 2019/20 kann man sich ausmalen, dass das 1400 Unfallgefahren mit einem Risiko unbeteiligter Dritter waren, in denen Menschen hätten zu Schaden kommen können.
Was kann nun jeder einzelne tun, oder auch wir als Trainer tun, um zu vermeiden, dass der eigene Hund unter der Silvesterknallerei in Panik gerät und die Flucht ergreift?
Zum einen muss man sich darüber im Klaren sein, dass auch der zuverlässigste und stark an seinen Menschen gebundene Hund nicht davor gefeit ist, in Panik zu geraten und zu fliehen. Wir haben es nun mal immer noch mit Lebewesen zu tun und hier gibt es niemals eine 100%ige Sicherheit. Daher sollte auch für diese eigentlich zuverlässigen Hunde gelten, dass man sie besser ein paar Tage vor und nach Silvester an die Leine nimmt. Das mag für den einen oder anderen vielleicht weniger angenehm sein, auf die gewohnte Freiheit zu verzichten. Aber diese Unannehmlichkeit ist nichts im Vergleich zu stunden-, tage- oder sogar wochenlangem Leid, während der Hund in Panik auf sich gestellt um sein Überleben kämpfen muss. Ein Kampf, der leider nicht immer gewonnen wird.
Besonderes Augenmerk sollte natürlich auch den Hunden gelten, die vom Naturell eher ängstlich, unsicher bis panisch sind. Da gilt es noch einig Vorsichtsmaßnahmen mehr zu beachten. Hier möchte ich das Augenmerk vor allem auf die Bereiche Gassi-Gang und auch Gang in den Garten und Sichern in der Wohnung / dem Haus legen.
Also zunächst zum Gassi-Gang oder Gang in den Garten:
Als erstes empfiehlt es sich, für diese Hunde sogenannte Sicherheits- oder Panikgeschirre zu benutzen. Das sind Geschirre, die auf jeden Fall einen Bruststeg haben und über einen zweiten Bauchgurt verfügen, der idealerweise hinter dem letzten Rippenbogen verläuft und ein rückwärtiges Aussteigen aus dem Geschirr verhindert. Zusätzlich sollte man auch ein Zugstopp-Halsband oder ein sehr eng ansitzendes normales Halsband verwenden. Ich persönlich bevorzuge tatsächlich den Zugstopp, da diese Halsbänder sich im Notfall zuziehen, ohne den Hund zu würgen (sofern der Stopp richtig eingestellt ist), ohne Belastung aber offen sind und vom Hund kaum wahrgenommen werden, wenn er gleichzeitig in der Hauptsache am Geschirr geführt wird. Das Halsband mit zweiter Leine ist ja nur als zusätzliche Sicherheit gedacht. Es wird bei dieser Doppelsicherung mit zwei Leinen gearbeitet, von denen eine etwas länger ist und fest am Körper befestigt wird (Einhängen am Gürtel, Joggingleine o.ä.), um zu verhindern, dass einem der Hund samt Leine entläuft, falls man z.B. mal stürzt und einem die Leine aus der Hand fällt. Der Hund ist dann immer noch am Körper fest. Er erschrickt vielleicht, aber er kann nicht weg. Will ich, weil der Hund sehr ängstlich ist, oder weil ich gerade mal nicht so viel Zeit habe, den Hund in den Garten lassen, sollte dieser Garten entweder absolut Hundesicher eingerichtet sein (mindestens 1,80 m hoher Zaun, an dem der Hund in Panik auch nicht hochklettern kann; nichts darf vor dem Zaun stehen, was der Hund als Stufe nutzen kann [selbst ein Busch kann hier zum Verhängnis werden], keine Möglichkeiten, sich unter dem Zaun durchzubuddeln, Gartentor fest verschlossen). Kann ich das nicht zu 100% garantieren, gelten hier die gleichen Regeln wie fürs Gassi, also lieber den Hund ins sichere Geschirr und nur angeleint in den Garten lassen.
Ein sehr häufiger Entlaufgrund gerade in der Silvester-Nacht liegt darin, dass die Hunde während irgendwelcher Feierlichkeiten unbemerkt mit raus laufen und dann in Panik geraten. Gerade unsichere Hunde sollte man dann eher hinter einer fest verschlossenen, möglichst sogar abgeschlossenen Tür sichern. Idealerweise sollte auch wenigstens ein Familienmitglied auf das Spektakel verzichten und den Hund in der Zeit betreuen, damit er sich in seiner Unsicherheit und Angst nicht sich selbst überlassen ist. Es empfiehlt sich auch, vor großen Fensterfronten die Rollos herunter zu lassen, um zum einen das Geflacker von den Hunden fern zu halten und zum anderen, damit die Hunde erkennen, dass da ein Hindernis ist. Ich hatte vor Jahren einen Fall, wo ein 6 Monate alter Riesenschnauzer in Panik durch eine doppelt verglaste Terrassentür gesprungen ist. Wie durch ein Wunder hat er nicht allzu viel abbekommen und konnte auch am nächsten Tag relativ unspektakulär gesichert werden.
Grundsätzlich sollte man sich natürlich überlegen, ob es, ganz unabhängig davon ob mein Hund sicher oder unsicher ist, wirklich sinnvoll ist, den Hund während der Feuerwerke mit nach draußen zu nehmen. Natürlich ist es für viele Hunde das tollste, in jeder Situation bei seinem Menschen zu sein, und es gibt auch sehr viele Hunde, denen das grundsätzlich auch nicht viel ausmacht. Und trotzdem… auch diese wirklich taffen Hunde kann ein unglücklich in unmittelbarer Nähe explodierender Böller kurzfristig in Panik versetzen, oder der alternde Hund reagiert plötzlich anders als in den vergangenen 10 Jahren, weil sich einfach seine Wahrnehmung verändert hat, von der Verletzungsgefahr durch versehentlich, oder häufig leider auch absichtlich in Richtung der Hunde geworfener Feuerwerkskörper mal ganz abgesehen. Wenn man den Hund aber unbedingt mit raus nehmen will, dann bitte nur sicher angeleint, denn man weiß nie, wie der Hund reagiert.
Wenn man diese Punkte beachtet, sollte es möglich sein, die Silvesterzeit mit seinem Hund vielleicht nicht Stressfrei aber weitestgehend unbeschadet zu überstehen. Und eines Punktes sollte man sich immer bewusst sein. Egal, ob man Feuerwerk toll findet oder es für eine Tradition hält, die man am besten verbieten sollte, egal, ob andere sich in Bezug darauf an Vorschriften halten oder eben nicht… wenn mein Hund an und um Silvester wegen der Knallerei entläuft, dann ist nicht der andere Schuld, sondern ich trage die Verantwortung für meinen Hund und seine Sicherheit. Diese Verantwortung kann mir niemand abnehmen und ich kann sie auf niemanden andern abschieben. Mit einem Mindestmaß an Umsicht sollte es normalerweise vermeidbar sein, dass mein Hund entläuft. Am 1.1. ist mir schon bekannt, dass der 31.12. unweigerlich kommen wird und damit auch die Knallerei, die immer früher beginnt und immer länger anhält. Das ist kein Ereignis, welches einen völlig unvorbereitet trifft und worauf man sich nicht vorbereiten konnte. Die Verantwortung für meinen Hund bleibt, wie in allen anderen Situationen des Lebens auch, immer bei mir als Hundehalter, egal, wie mein Gegenüber sich verhält. Und das den Menschen klar zu machen, sie dafür zu sensiblilisieren und sie zu entsprechender Umsicht zu bewegen, ist Jahr für Jahr Ziel der AG Silvesterhunde. Vielleicht erleben wir ja doch irgendwann das Jahr, in welchem die Zahlen das erste Mal rückläufig sein werden.
Was können wir Hundetrainer tun, um unseren Kunden zu helfen, ein Entlaufen des Hundes sicher zu vermeiden und ihnen im Worst Case effektiv zu helfen?
Wichtig ist, die Kunden oder andere Hundehalter, mit denen man in Kontakt steht, für das Thema zu sensibilisieren und auf die oben genannten Vorsichtsmaßnahmen hinzuweisen.
Wenn man in seiner Klientel so richtig unsichere Kandidaten hat, dann wäre es vielleicht auch nicht verkehrt, dass man schaut, ob es im eigenen Einzugsbereich ehrenamtliche oder auch professionelle Hilfe für den Worst-Case gibt, an welche man den Kunden im Fall des Falles verweisen kann. Vielleicht ist es auch mal sinnvoll, sich mit solchen Leuten, die sich auf diese Thematik spezialisiert haben, zu unterhalten, damit man den Kunden im Fall des Falles beruhigen und erste Maßnahmen erklären kann. Im eigenen Rückblick muss ich sagen, dass auch ich als Trainer in einigen Punkten echt umdenken musste, um erfolgreich sichern zu können. Wir haben es in mitunter sehr kurzer Zeit nicht mehr mit dem auf die eine oder andere Weise gut konditionierten Hund zu tun sondern mit einem Hund, dessen Verhalten dem eines Wildtieres sehr nahe kommt, weil er einfach auf Überlebensmodus (Sicherheit und Nahrung als oberste Priorität) umschalten muss und in diesem Verhaltensmodus unter Umständen noch nicht mal seine eigenen Menschen erkennt, selbst wenn er schon jahrelang bei ihnen lebt.Und schließlich auch dieses Silvester 2019 wuchsen die Zahlen an.
Der wichtigste Rat wird immer sein, Ruhe zu bewahren und mindestens eine Bezugsperson über Stunden an der Entlaufstelle zu lassen. Kennt der Hund sich in der Gegend aus, verschafft man ihm Zugang zum Haus oder Garten und gibt ihm die Chance, selbst zurück zu kommen, wenn das schlimmste vorbei ist. Sollte der Hund sich übel verletzt haben (drohende Immobilität) oder mit einer anhängenden Leine entlaufen, sollte trotzdem jemand vor Ort bleiben, ggf aber auch dem Hund vertraute Personen vorsichtig die Umgebung absuchen. In dem Fall wäre es auch anzuraten, frühzeitig den Kontakt zu einem Pettrailer herzustellen, da diese im Zweifel am ehesten beurteilen können, wann es wirklich Sinn macht, einen Hund anzusetzen. Außerdem sollten möglichst frühzeitig Polizei (ggf. auch Bundes-, und Autobahnpolizei), Tierheime, Tierärzte, Jäger und Haustierregister wie z.B. TASSO oder findefix informiert werden.
Leben mehrere Tiere im Haushalt, machte es Sinn, dem Hundehalter zu empfehlen, sich von jedem Hund (natürlich auch von den anderen Tieren, die eventuell entlaufen könnten), einen Geruchsträger zu erstellen und jeweils in einem sauberen Glas mit Schraubverschluss zu lagern. Notfalls geht auch ein fest verschlossener Gefrierbeutel, wenn man gerade kein Glas zur Hand hat. Für einen brauchbaren Geruchsträger kann man dem Hund mit einer sterilen Mullkompresse über Fell und Schleimhäute fahren und diese dann eindeutig markiert verpacken. In den allermeisten Fällen wird es nicht nötig sein, auf einen Suchhund (Pettrailer) zurück zu greifen. Aber wenn, wäre es fatal, wenn es daran scheitert, dass kein gescheiter Geruchsartikel zur Verfügung steht.